19.02.06

Google will eat itself – Googles Anzeigensystem kurzgeschlossen

Raffael Dörig

 

Google, einst als sanfter Riese und Freund aller Internet-User wahrgenommen, wird zunehmend kritisch betrachtet. Mit «Google will eat itself» setzen ubermorgen, Alessandro Ludovico und Paolo Cirio zum Take-over an.

Google, einst als sanfter Riese und Freund aller Internet-User wahrgenommen, wird zunehmend kritisch betrachtet. Google sitzt als Quasi-Monopolist an der Schaltstelle des Informationsflusses und ist zu einem der grössten multinationalen Konzerne geworden. Google schenkt uns eine prima funktionierende Suchmaschine, einen Emaildienst mit zwei Gigabyte Speicherplatz, das faszinierende Landkartenprogramm Google Earth und einiges mehr. Dabei geht aber gerne vergessen, dass das Kerngeschäft von Google der Anzeigenverkauf ist. Es ist unsere Aufmerksamkeit, die verkauft wird.

Dieses Kerngeschäft von Google ist Gegenstand des Projekts «Google will eat itself» (GWEI), das zu den Nominierten des diesjährigen Wettbewerbs des Medienkunstfestivals Transmediale gehörte. GWEI wurde vom österreichisch-schweizerischen Künstlerduo Ubermorgen.com und Alessandro Ludovico von neural.it konzipiert und zusammen mit dem Programmierer Paolo Cirio ausgeführt.

Google blendet einerseits auf seiner eigenen Suchmaschinen-Website Anzeigen entsprechend dem eingegebenen Suchbegriff ein. Daneben kann jeder, der eine Website betreibt, mit dem «AdSense»-System Anzeigen Dritter durch Google auf seiner Seite anzeigen lassen. Diese «Google-Ads» werden ebenfalls mit einem Suchalgorithmus dem Thema der Seite entsprechend automatisch zugeordnet. Der Webseitenbetreiber bekommt dafür von Google einen Teil der Einnahmen, die die Firma von den Werbekunden erhält. Die Höhe des Betrages ist gekoppelt an die Anzahl Clicks auf die Werbung selbst. Es wird somit effektiv pro User bezahlt, der den Anzeigen Aufmerksamkeit schenkt und über den darin enthaltenen Link zur Website des entsprechenden Produkts gelangt. Ähnliche Werbedienste sind im Internet verbreitet, derjenige von Google ist aber am meisten erfolgreich und ausgeklügelt. Die automatisierte Zuordnung aufgrund bestimmter Begriffe, also Themen, erhöht die Möglichkeit, die Zielgruppe zu erreichen.

Diagramm von www.gwei.org (Ausschnitt)

«Google will eat itself» besteht nun aus Webseiten mit Google-Anzeigen, mit denen auf oben genannte Weise Geld generiert wird. Mittels eines Skripts werden Besucher von Webseiten der beteiligten Künstler (z.B. www.ubermorgen.com und www.neural.it) auf die Seiten mit den Google Ads umgeleitet. Dies geschieht allerdings nur unsichtbar im Hintergrund, die Besucher erfahren nichts davon und sehen die Anzeigen nicht. Es wird also keine Aufmerksamkeit umgeleitet, sondern nur der technische «Beweis» dafür, der in der Statistik erscheinen wird. Zusätzlich wird bei einigen Besuchern ein vermeintlicher Click auf eine der Anzeigen generiert, so wie wenn er sich tatsächlich von der Anzeige hätte verlocken lassen. Für diese Clicks erhält GWEI Geld. Dieses wird in einem automatisierten Prozess über ein Schweizer Bankkonto ausschliesslich dazu genutzt, Aktien der Firma Google zu kaufen. Erklärtes Ziel ist es, Google mithilfe ihres eigenen Finanzierungssystems zu übernehmen. Die Aktien werden der dazu gegründeten Organisation «Google to the People» (GTTP) überschrieben, welche die Aktien wiederum zurück an die User verteilen will, sobald Google vollständig aufgekauft ist. Man kann sich dazu über die Website www.gwei.org, auf der das Projekt dokumentiert wird, anmelden für das Verteilprogramm. Damit würde wirklich Allgemeingut, was man jetzt schon für Allgemeingut hält.

Die Autoren von «Google will eat itself» während der Präsentation ihres Projekts an der
Transmediale Hans Bernhard (Ubermorgen.com), Alessandro Ludovico, Paolo Cirio (von links).

Das theoretische Konstrukt GWEI steht in der Tradition konzeptueller Kunst, bei der eine Handlungsanleitung ausgeführt wird (in diesem Fall übernimmt die Maschine die Ausführung). In der Tradition konzeptueller Kunst ist auch zu sehen, dass die Idee bzw. Behauptung wichtiger ist als ihre Realisierbarkeit. So wurden zwar in den ersten Monaten rund 18’000 US$ eingenommen, mit denen 51 Aktien gekauft wurden. Bei Googles Aktienvolumen von rund 272 Mio. Aktien würde es allerdings mit dieser Geschwindigkeit einige Millionen Jahre dauern, bis die Firma dem «Volk» gehören würde. Ausserdem gelangt nur ein Bruchteil der 272 Mio. Aktien überhaupt in den Handel. So ganz geht das System also nicht auf. Als Versuchsanordnung - und als freche Behauptung sowieso - ist GWEI jedoch zweifellos gelungen, zeigt es doch aktuelle ökonomische Mechanismen im Internet auf einleuchtende Weise. In diesem Zusammenhang macht auch das explizite Nennen der grotesk langen Übernahmedauer Sinn, da diese ebenso unvorstellbar ist wie die gewaltigen Geldmengen, die Google umsetzt.

An ihrer Präsentation an der Transmediale erläuterten die Macher von GWEI Hintergründe ihres «autokannibalistischen» Projekts. Besonders erhellend waren dabei die Einblicke in den Kampf mit den Gegenmassnahmen von Google. Google spricht in diesem Zusammenhang von «fraudulent clicks», also «betrügerischen Clicks». Alessandro Ludovico hielt dagegen: «Das sind nur binäre Daten, die da gezählt werden, nicht dein Finger auf der Maus.» Damit stellt er eine zentrale Frage: Wer ist verantwortlich für eine Handlung, die vom Computer ausgeführt wird? Google versucht jedenfalls, diejenigen binären Daten aufzuspüren die in ihren Augen unrechtmässig entstanden sind, und sie für ungültig zu erklären. Der Programmierer Cirio hat denn in der Präsentation auch seine Methoden zur Überlistung der detektivischen Algorithmen des Gegners wortreich geheimgehalten. Drei von etwa 40 Adsense-Accounts der Künstler hat Google dennoch bereits gesperrt (neben vielen anderen von ganz ordinären Betrügern). Hoffen wir, die restlichen bleiben noch ein paar Millionen Jährchen unentdeckt. Schön wär’s doch.



Links:
»www.gwei.org
»www.ubermorgen.com
»www.neural.it
»Googles Adsense
»unser Kommentar zu ubermorgens vorherigem Projekt (local version)
»unser Interview mit ubermorgen vom 14. Juni 2005 (local version)